Khoisansprachen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Khoisan-Sprachen)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Verbreitungsgebiet und Sprecherzahl der Khoisansprachen

Als Khoisan-Sprachen werden Sprachen im südlichen Afrika (Südafrika, Namibia, Angola und Botswana) sowie in Tansania bezeichnet, deren Phoneminventar Klicklaute enthält und die nicht zu den Niger-Kongo-Sprachen, den nilosaharischen oder afroasiatischen Sprachen gehören. Die Khoisansprachen bilden keine genetische Einheit (Sprachfamilie); ihr sprachliches Areal umfasst je nach Definition mindestens drei Sprachfamilien sowie einige isolierte Sprachen. Eine allen Khoisansprachen gemeinsame Ursprache lässt sich nicht rekonstruieren.

Khoisansprechende Gruppen sind insbesondere die im Süden und Südwesten Afrikas lebenden San und Khoikhoi. Diese werden zusammenfassend als Khoisan-Völker bezeichnet und sind nicht nur anhand ihrer meist helleren Hautfarbe genetisch klar von den anderen Völkern Afrikas abgrenzbar.[1] Außerdem khoisansprachig sind die schwarzafrikanischen Damara, welche auch aufgrund der gemeinsamen Geschichte mitunter zu den Khoisanvölkern gezählt werden. Die in Tansania lebenden Hadza und Sandawe werden aufgrund typologischer Gemeinsamkeiten manchmal zu den Khoisansprachen hinzugezählt und auch in diesem Artikel aufgeführt.[2]

Charakteristisch für die Khoisansprachen sind die Klicklaute und umfangreiche Phoneminventare (den Rekord mit 164 Phonemen hält ǃXóõ). Ebenfalls typisch sind Nominalklassensysteme.

Vor der Expansion der Bantu bildeten die Khoisangruppen in einem großen Teil des südlichen Afrikas die Mehrheitsbevölkerung. Von ihnen übernahmen manche Bantusprachen im südlichen Afrika sowie vielleicht die in Kenia gesprochene Sprache Dahalo ebenfalls Klicklaute. Sie gelten jedoch nicht als Khoisansprachen, da sie anderen Sprachfamilien zugeordnet werden können. Umstrittenen Theorien nach könnten diese Klicks Relikte einer „Ursprache“ der Menschheit sein.[3] Heute sind diese Sprachen hochgradig gefährdete Minderheitensprachen, wobei das als Khoekhoegowab bezeichnete Dialektkontinuum, vor allem in Namibia, noch die größte Verbreitung hat.

Die Wissenschaft von den Khoisansprachen und den damit verbundenen Kulturen und Völkern wird Khoisanistik genannt. Sie ist ein Teilgebiet der Afrikanistik.

Sprachfamilien der Khoisansprachen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innerhalb der Khoisansprachen lassen sich folgende Sprachfamilien mit den Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft rekonstruieren (die Einteilung in verschiedene einzelne Sprachen wird dadurch verkompliziert, dass viele Khoisansprachen keine eigene Bezeichnung für ihre Sprache haben. Daher muss der Name oft erst von Linguisten kreiert werden. Da dies nicht immer eindeutig möglich ist, hat sich eine gewisse Fülle an Bezeichnungen etabliert – unter anderem auch deshalb, weil verschiedene Sprecher unterschiedliche Auskünfte geben). Synonyme oder nah verwandte Dialekte werden hier mit Kommas getrennt:[4]

  • Sandawe (isoliert, 40.000 Sprecher in Tansania)
Verteilung des Khoekhoegowab als Muttersprache in Namibia (2011)
  • <1%
  • 1–5,99 %
  • 6–10,99 %
  • 11–20,99 %
  • 21–30,99 %
  • 31–49,99 %
  • Auch unter der älteren Bezeichnung Zentral-Khoisan-Sprachen bekannt.

    • Kwadi (ausgestorben) [Nach T. Güldemann und R. Voßen, in Heine/Nurse (2000): isolierte Sprache]
    • Khoe
      • Khoekhoe
        • Khoekhoegowab (300.000 Sprecher, Dialektkontinuum, beinhaltet Nama, Damara, Haiǁom, ǂAakhoe und Topnaar)
        • Eini (ausgestorben)
        • Süd-Khoekhoe
          • Koranna (6 Sprecher, aussterbend), !Kora, Kora, !Korana, Korana
          • Xiri (90 Sprecher, Dialektkontinuum, aussterbend)
      • Tshu-Khwe (oder Kalahari) verloren teilweise ihre Schnalzlaute
        • Ost-Tshu-Khwe (Ost-Kalahari)
          • Shua (6.000 Sprecher, Dialektkontinuum, beinhaltet Deti, Tsʼixa, ǀXaise und Ganádi)
          • Tsoa (9.300 Sprecher, Dialektkontinuum, beinhaltet Cirecire und Kua)
        • West-Tshu-Khwe (West-Kalahari)
          • Kxoe (11.000 Sprecher, Dialektkontinuum, beinhaltet ǁAni und Buga)
          • Naro (14.000 Sprecher, Dialektkontinuum)
          • Gǀui-Gǁana (4.500 Sprecher, Dialektkontinuum, beinhaltet Gǀui/Gǀwi, Gǁana und ǂHaba)

    Auch unter der älteren Bezeichnung Süd-Khoisan-Sprachen bekannt. Von den zwei Hauptzweigen dieser Familie wird heute nur noch je eine Sprache gesprochen.

    • ǃUi
      • Nǁng, ǂKhomani, Nǀuu (8 Sprecher in Südafrika, aussterbend)
      • ǀXam, ǀXam Kaǃkʼe (ausgestorben)
      • Vaal-Orange: ǂUngkue, ǁŨǁʼe (ausgestorben)
      • Outliers: ǁXegwi, ǃGãǃne (ausgestorben)
    • Taa
      Eine Aufzeichnung auf Taa über den Initiationsritus bei Mädchen
      • Ost: ǃXóõ, !Xoon (Dialektkontinuum, 4.200 Sprecher, vorwiegend in Botswana)
      • West: Nǀamani, Nǀuǁen
      • Lower Nosop: ǀʼAuni, ǀHaasi (ausgestorben)

    Ju-ǂHõã, Kxʼa

    [Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    Aufnahme der Juǀ’hoan-Sprache (Teil der !Kung)

    Auch unter der älteren Bezeichnung Nord-Khoisan-Sprachen bekannt.

    • !Kung (Dialektkontinuum mit etwa 45.000 Sprechern), Synonyme: ǃXũũ, !Xun, Ju
      • Sekele
      • Ekoka-!Kung
      • Zentral-!Kung
      • Juǀ’hoan (Southern/Southeastern ǃKung) oder ǂKxʼauǁʼein (Eastern Juǀ’hoan, Gobabi ǃKung)
    • ǂʼAmkoe (200 Sprecher in Botswana, aussterbend) [Nach T. Güldemann und R. Voßen, in Heine/Nurse (2000): isolierte Sprache]
      • ǂHoan
      • Nǃaqriaxe
      • Sasi

    Mögliche interne Beziehungen

    [Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    Hypothetische Makrofamilien der Welt nach Joseph Greenberg und Anderen.
  • Die vorgeschlagene Khoisan-Makrofamilie ist blau dargestellt
  • Nord- und Südkhoisan sowie ǂHõã weisen dabei untereinander besonders viele typologische Gemeinsamkeiten auf, ohne dass dies genetisch bedingt sein muss, z. B. die Grundwortfolge Subjekt-Verb-Objekt (SVO) sowie wenig Flexionsmorphologie im Gegensatz zu den Zentral-Khoisan-Sprachen, die die Wortfolge Subjekt-Objekt-Verb (SOV) sowie eine reichhaltige Flexion aufweisen.

    Eine genetische Verwandtschaft zwischen Khoe und Kwadi sowie wahrscheinlich auch Sandawe wird von Güldemann/Elderkin vermutet. Anhaltspunkte dafür sind z. B. die singularischen Personalpronomen dieser Sprachen (Proto-Khoe-Kwadi ist eine gemeinsame, rekonstruierte Vorstufe von Khoe und Kwadi):[5]

    Pronomen Sandawe Proto-Khoe-Kwadi
    1. Person singular tsi *ti (Kwadi: tʃi)
    2. Person singular ha- *sa
    3. Person (Basis) he- *xa- (Kwadi: ha-)
    3. Person maskulin singular (Suffix) -w(e), -m *-V[vorn] (vorderer Vokal) (Khoe: -bV, -mV)
    3. Person feminin singular (Suffix) -su *-V[vorn] (vorderer Vokal) (Khoe: -sV)

    In Simbabwe wurde Khoisan 2013 als Amtssprache anerkannt.[6]

    • Joseph H. Greenberg: Africa as a linguistic area. In: William R. Bascom, Melville J. Herskovits (Hrsg.): Continuity and change in African cultures. University of Chicago Press 1959, S. 15–27.
    • Isaac Schapera: The Khoisan Peoples of South Africa – Bushmen and Hottentots. Routledge, London 1960.
    • Otto Köhler: Die Khoe-sprachigen Buschmänner der Kalahari. In: Forschungen zur allgemeinen und regionalen Geschichte (Festschrift Kurt Kayser). Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1971.
    • E. O. J. Westphal: The click languages of Southern and Eastern Africa. In: T. A. Sebeok (Hrsg.): Current Trends in Linguistics. Bd. 7: Linguistics in Sub-Saharan Africa. Mouton Publishers, The Hague 1971.
    • Anthony Traill: Phonetic and phonological studies of !Xóõ Bushman (Quellen zur Khoisan-Forschung; Band 1). Helmut Buske Verlag, Hamburg 1985, ISBN 3-87118-669-4 (Dissertation, University of the Witwatersrand, Johannesburg 1981, 215 Seiten).
    • J. C. Winter: Die Khoisan-Familie. In: Bernd Heine, Thilo C. Schadeberg, Ekkehard Wolff (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Helmut Buske Verlag, Hamburg 1981, S. 329–374.
    • Rainer Voßen: Die Khoe-Sprachen: ein Beitrag zur Erforschung der Sprachgeschichte Afrikas. Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1997, ISBN 978-3-927620-59-9.
    • Yvonne Treis: Names of Khoisan languages and their variants. In: Matthias Schladt (Hrsg.): Language, identity, and conceptualization among the Khoisan. Rüdiger Köppe Verlag, Köln 1998.
    • Tom Güldemann, Rainer Voßen: Khoisan. In: Bernd Heine; Derek Nurse (Hrsg.): African Languages: an introduction. Cambridge University Press, 2000, S. 99–122.
    • Ernst Kausen: Die Sprachfamilien der Welt. Teil 2: Afrika – Indopazifik – Australien – Amerika. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2014, ISBN 978-3-87548-656-8. (Kapitel 5)
    • Peter E. Raper: Khoisan indigenous toponymic identity in South Africa. In: Ian D. Clark, Luise Hercus, Laura Kostanski: Indigenous and Minority Placenames: Australian and International Perspectives. ANU Press, Acton A.C.T. 2014, S. 381–398, online auf www.anu.edu.au (englisch, PDF)

    Einzelnachweise

    [Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    1. Carina M Schlebusch, Per Sjödin, Gwenna Breton, Torsten Günther, Thijessen Naidoo, Nina Hollfelder, Agnes E Sjöstrand, Jingzi Xu, Lucie M Gattepaille, Mário Vicente, Douglas G Scofield, Helena Malmström, Michael de Jongh, Marlize Lombard, Himla Soodyall, Mattias Jakobsson: Khoe-San Genomes Reveal Unique Variation and Confirm the Deepest Population Divergence in Homo sapiens. In: Molecular Biology and Evolution, Volume 37, Issue 10. Oktober 2020, S. 2944–2954, abgerufen am 2. März 2023 (englisch).
    2. Daniel Shriner, Fasil Tekola-Ayele, Adebowale Adeyemo, Charles N Rotimi: Genetic Ancestry of Hadza and Sandawe Peoples Reveals Ancient Population Structure in Africa. In: Genome Biology and Evolution, Volume 10, Issue 3. März 2018, abgerufen am 2. März 2023 (englisch).
    3. Hartmut Traunmuller: Clicks and the idea of a human protolanguage. 1. Januar 2003 (academia.edu [abgerufen am 27. September 2023]).
    4. Tore Janson: Eine kurze Geschichte der Sprachen. Spektrum Akademischer Verlag, 2010, ISBN 978-3-8274-1778-7, S. 25–29.
    5. Tom Güldemann u. Edward D. Elderkin: On external genealogical relationships of the Khoe family. (Memento vom 25. März 2009 im Internet Archive)
    6. Verfassung Simbabwes (Memento vom 6. September 2019 im Internet Archive) bei constituteproject.org (englisch; PDF), abgerufen am 15. Oktober 2016