Diagnosekriterien der Multiplen Sklerose

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Die MS-Diagnosekriterien werden in der Neurologie zur Diagnose der multiplen Sklerose verwendet. Hauptprinzip einer MS-Diagnose ist der Nachweis einer räumlichen und zeitlichen Streuung (Dissemination) von entzündlich-entmarkenden Herden (auch als Plaques bezeichnet) im Zentralnervensystem.

Geschichtlich finden sich vier bedeutsame genauere Ausarbeitungen der Diagnosekriterien, deren Wandel den Eingang neuer Untersuchungstechniken in die MS-Diagnostik reflektiert. Die Schumacher-Kriterien von 1965[1] und die Rose-Kriterien von 1976[2] stützten sich vorwiegend auf anamnestisch und klinisch-neurologisch erhobene Befunde. Die Poser-Kriterien von 1983 bezogen zusätzlich Befunde ein, die durch die Untersuchung des Hirnwassers (Liquor cerebrospinalis) gewonnen werden können.[3] Die 2001 veröffentlichten McDonald-Kriterien betonten die Bedeutung bildgebender Befunde der MRT-Untersuchung. 2005 wurden diese Kriterien erneut überarbeitet. Sie werden seitdem als „revidierte McDonald-Kriterien“ bezeichnet.

Diagnosekriterien nach Rose 1976

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Diesen Regeln entsprechend wurden Kriterien für eine eindeutige, eine wahrscheinliche und eine mögliche klinische Diagnose aufgestellt. Die eindeutige klinische Diagnose stützt sich dabei auf den Nachweis eines typischen Verlaufs disseminierter Läsionen bei jüngeren erwachsenen Patienten. Die wahrscheinliche Diagnose darf beim Nachweis eines Schubes mit einem dokumentierten häufig vorkommenden Symptom gestellt werden. Eine mögliche Diagnose darf dann gestellt werden, wenn ein Krankheitsschub dokumentiert ist, die Symptome aber nicht eindeutig einer zentralen Läsion zugeordnet werden können.[4]

Diagnosekriterien nach Poser 1983

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Ein jüngerer Diagnosealgorithmus, benannt nach Charles M. Poser, dem Vorsitzen der ausarbeitenden Arbeitsgruppe, sah zusätzlich vor, dass man eine sichere klinische Diagnose stellen darf, wenn diese durch Laborbefunde (MRI, Liquor und EP) gestützt werden kann. Demzufolge darf man eine sichere klinische Diagnose stellen, wenn man zwei unzusammenhängende zentrale Läsionen entweder im zeitlichen Verlauf oder im Rahmen einer aktuellen Untersuchung findet. Findet sich klinisch nur eine Läsion, darf die sichere Diagnose auch gestellt werden, wenn man eine zweite Läsion durch Laboruntersuchungen (EP oder MRI) nachweisen kann: z. Bsp. Paraspastik der Beine und pathologische VEPs (Visuell evozierte Potentiale). Dabei sollte der Liquorbefund immer pathologisch sein.[5][6]

McDonald-Kriterien von 2001 und ihre Revision von 2005 und 2010

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2001 schlug ein internationales Expertengremium neue Kriterien zur Diagnose der MS vor, die neben klinischen die Bedeutung bildgebender Befunde (MRT) betont (McDonald-Kriterien).[7] Auch paraklinische Befunde (Liquordiagnostik und evozierte Potentiale) wurden berücksichtigt; sie verloren jedoch gegenüber bildgebenden Befunden an Bedeutung. Aufgrund von Untersuchungen, die sich mit der Empfindlichkeit und Spezifität der McDonald-Kriterien befassten, erfolgte 2005[8] und 2010[9] eine Überarbeitung. Diese revidierten McDonald-Kriterien zeichnen sich insgesamt durch eine erleichterte Diagnosestellung der MS aus.[10] Wichtig ist die Feststellung, dass die Diagnose einer MS nicht gestellt werden darf, wenn die erhobenen pathologischen Befunde von einer anderen Erkrankung besser erklärt werden können.

Die folgende tabellarische Übersicht zeigt die genaue Fassung der revidierten McDonald-Kriterien:

Klinische Präsentation Zusätzliche Parameter, die für eine MS-Diagnose benötigt werden
* Zwei oder mehr Schübe
* Zwei oder mehr objektivierbare klinisch evidente Läsionen
Keine; klinische Evidenz ist ausreichend
* Zwei oder mehr Schübe
* Eine objektivierbare klinisch evidente Läsion
Disseminierung im Raum, Nachweis durch:
* MRT[11]
* oder ein positiver Liquorbefund[12] plus zwei oder mehr MS-typische MRT-Läsionen
* oder Abwarten eines weiteren Schubes, der durch eine Läsion an einer anderen Lokalisation verursacht ist
* Ein Schub
* Zwei oder mehr objektivierbare klinisch evidente Läsionen
Disseminierung in der Zeit, Nachweis durch:
* MRT[13]
* oder zweiten klinischen Schub
* Ein Schub
* Eine objektivierbare klinisch evidente Läsion
(monosymptomatische Präsentation, klinisch isoliertes Syndrom)
Disseminierung im Raum, Nachweis durch:
* MRT
* oder positiver Liquorbefund plus zwei oder mehr MS-bedingte MRT-Läsionen
und
Disseminierung in der Zeit, Nachweis durch:
* MRT
* oder zweiten klinischen Schub
Schleichende neurologische Progression
(PP-MS)
Kontinuierliche klinische Progression (retrospektiv oder prospektiv bestimmt) über ein Jahr
und
zwei der folgenden Punkte treffen zu:
* positive MRT des Gehirns (neun T2-Läsionen oder vier oder mehr T2-Läsionen mit positivem VEP)
* positive MRT des Rückenmarks (zwei oder mehr T2-Läsionen)
* positiver Liquorbefund

Falls die Kriterien erfüllt sind und keine bessere Erklärung für die klinische Präsentation besteht, ist die Diagnose MS. Falls der Verdacht besteht, die Kriterien jedoch nicht vollständig erfüllt sind, lautet die Diagnose mögliche MS. Falls während des Diagnoseprozesses eine andere Diagnose die Befunde der klinischen Präsentation besser erklärt, lautet die Diagnose keine MS.

2010 erfuhren die McDonald-Kriterien eine erneute Überarbeitung:

Anzahl der Schübe Anzahl der klinischen Läsionen Weitere Anforderungen zur Diagnose MS
2 und mehr 2 und mehr keine
2 und mehr 1 Fehlend: räumliche Dissemination, MR-tomographisch erfüllt wenn:

1 oder mehr T2-Läsionen in mindestens zwei der MS-typischen Regionen (periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell, spinal) ODER Abwarten auf neuen Schub mit neuer Läsionslokalisation

1 2 und mehr Fehlend: zeitliche Dissemination; MR-tomographisch erfüllt bei:

Gleichzeitigem Nachweis von asymptomatischen Gadolinium-aufnehmenden und nicht-aufnehmenden Läsionen, ODER Nachweis einer neuen T2- oder Gadolinium-aufnehmenden Läsion im Kontroll-MRT zeitunabhängig, ODER Abwarten auf neuen Schub

1 1 Fehlend: räumliche und zeitliche Dissemination, MR-tomographische Anforderungen siehe oben
Neurologische Progression mit Verdacht auf primär-chronisch progrediente MS Mindestens 1 Jahr Progression plus 2 der folgenden 3 Kriterien:

1. 1 oder mehrere T2-Läsionen in den MS-typischen Regionen periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell 2. 2 oder mehrere spinale Läsionen 3. Nachweis einer intrathekalen IgG-Synthese

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Schumacher et al.: Problems of experimental trials of therapy in Multiple Sclerosis: Report by the panel on the evaluation of experimental trials of therapy in Multiple Sclerosis. Ann N Y Acad Sci. 1965 Mar 31;122:552–68. doi:10.1111/j.1749-6632.1965.tb20235.x. PMID 14313512.
  2. Rose Aet al.: Criteria for the clinical diagnosis of multiple sclerosis. Neurology. 1976;26:20-2. PMID 58393
  3. Poser et al.: New diagnostic criteria for multiple sclerosis: guidelines for research protocols. Ann Neurol. 1983 Mar;13(3):227–31. PMID 6847134
  4. Rose AS, Ellison GW, Myers LW, Tourtellotte WW. Criteria for the clinical diagnosis of multiple sclerosis. Neurology. 1976 Jun;26(6 PT 2):20-2. PMID 58393
  5. Poser CM, Paty DW, Scheinberg L, McDonald WI, Davis FA, Ebers GC, Johnson KP, Sibley WA, Silberberg DH, Tourtellotte WW: New diagnostic criteria for multiple sclerosis: guidelines for research protocols. Ann Neurol. 1983 Mar;13(3):227-31. PMID 6847134
  6. Poser CM, Paty DW, Scheinberg L, McDonald WI, Ebers GC: The Diagnosis of Multiple Sclerosis New York: Thieme-Stratton, 1984. Zitiert nach Lewis P. Rowland. Merrits Textbook of Neurology Williams and Wilkins.
  7. McDonald WI et al.: Recommended diagnostic criteria for multiple sclerosis: guidelines from the International Panel on the diagnosis of multiple sclerosis. Ann Neurol. 2001 Jul;50(1):121–7. PMID 11456302
  8. Polman CH et al.: Diagnostic criteria for multiple sclerosis: 2005 revisions to the „McDonald Criteria“. Ann Neurol. 2005 Dec;58(6):840–6. PMID 16283615
  9. Diagnostic Criteria for Multiple Sclerosis: 2010 Revisions to the McDonald Criteria. Ann Neurol. 2011; 69: 292-302
  10. Übersicht über die Änderungen der überarbeiteten Fassung der McDonald-Kriterien bei der DMSG (Memento vom 13. Oktober 2007 im Internet Archive)
  11. Der Nachweis einer räumlichen Dissemination mittels MRT ist erbracht, wenn drei der folgenden vier Charakteristika erfüllt sind: 1.Mindestens eine Gadolinium-aufnehmende Läsion oder neun in der T2-Wichtung hyperintense Läsionen, falls eine Gadolinium-aufnehmende Läsion nicht vorhanden ist. 2.Mindestens eine Läsion unterhalb des Tentorium cerebelli (infratentoriell). 3.Mindestens eine Läsion unmittelbar am Kortexband (juxtakortikal). 4.Mindestens drei periventrikuläre Läsionen.
  12. Als positiver Liquorbefund wird der Nachweis einer intrathekalen (innerhalb des Subarachnoidalraumes gelegenen) Produktion von Antikörpern bezeichnet (dies kann durch die Darstellung oligoklonaler Banden nur im Liquor mittels isoelektrischer Fokussierung oder anhand eines erhöhten IgG-Index im Quotientendiagramm nach Reiber erfolgen)
  13. Der Nachweis einer zeitlichen Dissemination mittels MRT kann auf zwei Wegen erfolgen: 1.Nachweis einer Gadolinium-aufnehmenden Läsion frühestens drei Monate nach Auftreten des initialen klinischen Ereignisses. Die neue Läsion darf nicht an einer Stelle lokalisiert sein, die dem initialen klinischen Ereignis entspricht. 2.Nachweis einer neuen T2-Läsion zu einem beliebigen Zeitpunkt in einer MRT-Aufnahme im Vergleich zu einer Referenzaufnahme. Diese Referenzaufnahme soll mindestens 30 Tage nach dem initialen klinischen Ereignis angefertigt worden sein.
  • Thomas Brandt, Johannes Dichgans, Hans-Christoph Diener: Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer, Stuttgart 2007, ISBN 3-17-019074-1.
  • Rudolf M. Schmidt, Frank Hoffmann: Multiple Sklerose. Urban & Fischer, München 2006, ISBN 3-437-22081-0.