Gelassenheitsgebet

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Das Gelassenheitsgebet ist ein vom US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr verfasstes Gebet,[1] in dem Gott um Gelassenheit, Mut und Weisheit gebeten wird.

Im deutschen Sprachraum ist die folgende Version verbreitet:

  Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Ursprünglich bat Niebuhrs Gebet eingangs um Mut, und zwar um die Dinge zu ändern, die geändert werden müssen und nicht nur geändert werden können:

Father, give us courage to change what must be altered, serenity to accept what cannot be helped, and the insight to know the one from the other.[2]

Im englischen Sprachraum gibt es auch Versionen, die von anderen verlängert wurden, z. B.:

  God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
  Courage to change the things I can,
  And wisdom to know the difference.
  Living one day at a time,
  Enjoying one moment at a time,
  Accepting hardship as a pathway to peace,
  Taking, as Jesus did,
  This sinful world as it is,
  Not as I would have it,
  Trusting that You will make all things right,
  If I surrender to Your will,
  So that I may be reasonably happy in this life,
  And supremely happy with You forever in the next.
  Amen.

Freie Übersetzung ins Deutsche:

  Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
  Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
  Und Weisheit, um den Unterschied zwischen beidem zu erkennen.
  Einen Tag nach dem anderen zu leben,
  Einen Moment nach dem anderen zu genießen,
  Beschwernis als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren,
  Diese sündige Welt, wie Jesus es tat,
  So anzunehmen, wie sie ist,
  Nicht so, wie ich sie gern hätte,
  Darauf zu vertrauen, dass Du alles richtig machen wirst,
  Wenn ich mich Deinem Willen hingebe,
  Auf dass ich recht glücklich sein möge in diesem Leben
  Und überglücklich mit Dir auf ewig im nächsten.
  Amen.

Urheberschaft und Verbreitungsgeschichte des Gelassenheitsgebets sind umstritten. Vermutlich hat Reinhold Niebuhr das Gebet vor dem Zweiten Weltkrieg oder während desselben verfasst. In Briefen datiert seine Ehefrau es auf das Jahr 1941 oder 1942, er selbst auf die Vorkriegszeit. Die Ungewissheit über die genaue Entstehungszeit des Gebets ist möglicherweise durch Niebuhrs Verzicht auf das Urheberrecht begründet.[3] Vermutlich hat er einen der zahlreichen älteren Vorläufertexte mit ähnlichem Aufbau und Inhalt gekannt.

Häufig wird das Gebet auch dem württembergischen Prälaten und Theosophen Friedrich Christoph Oetinger zugeschrieben, was jedoch auf einer Namensverwechslung beruht: Der Theologe und Pädagoge Theodor Wilhelm veröffentlichte eine deutsche Übersetzung von Niebuhrs Gebet in einem Buch, dessen Autor mit dem Pseudonym »Friedrich Oetinger« angegeben wurde, sodass die falsche Zuschreibung an den Theosophen Oetinger aus dem 18. Jahrhundert zustande kommen konnte.[3] Als Verfasser werden mitunter auch Dietrich Bonhoeffer, der Bischof Franz Hengsbach sowie die Heiligen Ignatius von Loyola und Franz von Assisi[4] genannt, ohne dass diese Zuschreibungen aber durch Quellen verbürgt wären.

Heute begegnet das Gelassenheitsgebet häufig als Sinnspruch auf Alltagsgegenständen und in Anthologien. Seine starke Verbreitung nach dem Zweiten Weltkrieg hängt vermutlich mit den Selbsthilfegruppen Anonyme Alkoholiker (AA), Narcotics Anonymous und Emotions Anonymous zusammen, die das Gelassenheitsgebet in ihrer Literatur verwenden und bei ihren Treffen gemeinsam sprechen. Die von den Anonymen Alkoholikern gebrauchte Version unterscheidet sich in einem theologisch wichtigen Detail von der, die Niebuhr selbst vorzog: sie bitten Gott um Gelassenheit (engl. grant me the serenity), Niebuhr bittet um die Gnade der Gelassenheit (engl. give us grace to accept with serenity).[3]

Das Gelassenheitsgebet kommt auch in Kurt Vonneguts Buch Slaughterhouse-Five Or The Childrens Crusade vor, weshalb er manchmal fälschlich als dessen Verfasser angegeben wird.[5]

In Japan ist das Gebet als 平安の祈り (heian no inori ‚Friedensgebet‘) bekannt. Auf dem Gebiet der Kognitiven Psychotherapie wird zuweilen sein Nutzen für die kognitive Umstrukturierung diskutiert.[6]

Das Gebet ist ein Wahlspruch des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr.[7][3]

Geistesgeschichtlicher Hintergrund

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Der geistesgeschichtliche Hintergrund des Gebets ist unverkennbar. Gleich im ersten Satz seines Handbüchleins der Moral unterscheidet der Stoiker Epiktet:

„Das eine steht in unserer Macht, das andere nicht. In unserer Macht stehen: Annehmen und Auffassen, Handeln-Wollen, Begehren und Ablehnen – alles, was wir selbst in Gang setzen und zu verantworten haben. Nicht in unserer Macht stehen: unser Körper, unser Besitz, unser gesellschaftliches Ansehen, unsere Stellung – kurz: alles, was wir selbst nicht in Gang setzen und zu verantworten haben.“

Epiktet, Handbüchlein der Moral, 1

Präsent ist die stoische Tradition etwa auch bei Friedrich Schiller:

„Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann.“

Friedrich Schiller, Über das Erhabene (Essay)

Der Unterschied des Gelassenheitsgebetes zum stoischen Denken besteht in seiner Ermunterung zur Änderung der änderbaren Dinge und der Bitte um die Weisheit der Unterscheidung.

Der spanisch-jüdische Philosoph Solomon ibn Gabirol schrieb im 11. Jahrhundert in Die Perlenauslese (Mibchar ha-Peninim, hebräisch מבחר הפנינים, Kapitel 17: »Pforte der Erkenntnis«, 2. Vers):[8]

„Die Vorzüglichkeit des Verstandes besteht in der Unterscheidung zwischen Möglichem und Unmöglichen, und in der Tröstung über das, was man zu ändern nicht imstande ist.“

Möglicherweise ist dies eine Übersetzung eines bekannten spanischen, arabischen oder griechischen Textes. Der US-amerikanische Philosoph William Warren Bartley stellte im zwanzigsten Jahrhundert kommentarlos Niebuhrs Gebet einem Mother-Goose-Reim (1695) gegenüber, der einen ähnlichen Gedanken ausdrückt:

“For every ailment under the sun There is a remedy, or there is none; If there be one, try to find it; If there be none, never mind it.”

Im 8. Jahrhundert formulierte der indische buddhistische Gelehrte Shantideva der Universität von Nalanda eine ähnliche Überlegung:

“If there’s a remedy when trouble strikes, What reason is there for dejection? And if there is no help for it, What use is there in being glum?”

Martin Luther formulierte in seiner Denkschrift Von der Freiheit eines Christenmenschen in Form eines scheinbaren Widerspruchs:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Demzufolge kann jeder die Dinge, die in seinem Entscheidungsbereich liegen, frei und selbstständig regeln – und ist doch in anderen Bereichen an Weisungen gebunden.

in Liedern

auf Tonträgern

  • LP Re-ac-tor von Neil Young (1981): Auf der Plattenhülle steht das Gebet in fehlerhaftem Latein: Deus, dona mihi serenitatem accipere res quae non possum mutare, fortitudinem mutare res quae possum, atque sapientiam differentiam cognoscere.
  • LP Whitney Houston von Whitney Houston (1985)
  • CD Serenity von Blood for Blood im Intro und Outro
  • CD Herzenslieder (2001) von Iria
  • CD Ja! (2007) von Iria

in Filmen

in Serien


in Büchern

Einzelnachweise

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  1. Fred R. Shapiro: Who Wrote the Serenity Prayer? Abgerufen am 28. April 2014.
  2. You can quote them, Yale Alumni Magazine
  3. a b c d Das falsche Oetinger-Gebet oder Das Gelassenheitsgebet. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, 27. August 2012, abgerufen am 24. Mai 2013.
  4. Helga Schubert nennt es zum Beispiel das „Gebet des Franz von Assisi“, vgl. H. Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. München 2023. S. 129.
  5. Kurt Vonnegut: Slaughterhouse Five Or The Children’s Crusade. Dial Press Trade Paperback; Auflage: Reissue, Januar 1999, abgerufen am 11. November 2019.
  6. Beate Wilken: Methoden der Kognitiven Umstrukturierung. Ein Leitfaden für die psychotherapeutische Praxis. 7. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 2015, ISBN 978-3-17-026872-2, S. 79 (unter Zuweisung des Gebets an Friedrich Oetinger).
  7. Noch weht die Flagge. In: Der Spiegel. Nr. 26, 1964, S. 19–28 (online24. Juni 1964).
  8. Solomon ibn Gabirol (hier fälschlich Bedersi zugeschrieben), Ahron Dessau: Das Buch Mibchar ha-Peninim des Rabbi Jedaja ben Abraham Bediraschi Penini in einem korrekten hebräischen Texte und mit dem erläuternden hebräischen Kommentar von Ahron Dessau. Mit einer deutschen Übersetzung. Hrsg.: Hirsch Löwinsohn, Posen. D. Friedländer, Berlin 1842, S. 30 f.